Tätigkeit eines Heileurythmisten als ähnlicher Beruf i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG

Der Abschluss eines Integrierten Versorgungsvertrags nach §§ 140a ff. SGB V (sog. IV - Verträge) zwischen dem Berufsverband der Heileurythmisten und einer gesetzlichen Krankenkasse stellt ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Katalogberuf des Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlichen Ausbildung und Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar.

Streitig war, ob die Steuerpflichtige im Streitjahr 2011 als Heileurythmistin gewerbesteuerpflichtige Einkünfte erzielt hat. Sie besitzt nach vierjähriger Ausbildung in der anthroposophischen Tanzkunst "Eurythmie" das Diplom für Eurythmie des Instituts für Waldorfpädagogik. Im Jahr 2002 absolvierte sie eine Vollzeitausbildung zur Heileurythmistin an einer Schule für Eurythmische Heilkunst. Im Anschluss wurde ihr das Heileurythmie-Diplom von der Schule der Gesellschaft für Anthroposophische Heilkunst und Eurythmie e.V. und der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft verliehen.

Die Steuerpflichtige war Mitglied des Berufsverbandes Heileurythmie e.V. (Berufsverband). Weder die Steuerpflichtige noch ihr Berufsverband wurden nach § 124 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen zugelassen.

Anfang 2006 schlossen mehrere gesetzliche Krankenkassen (insgesamt zwölf) mit den Berufsverbänden der anthroposophischen Heilkunst Verträge zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V (sog. IV‑Verträge). Der Berufsverband der Steuerpflichtigen war einer der Vertragspartner. Auf der Grundlage dieser IV‑Verträge übernahmen die teilnehmenden gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für ärztlich verordnete und durch anerkannte Therapeuten erbrachte Leistungen der Heileurythmie als Heilmittel innerhalb der gesetzlich anerkannten besonderen Therapierichtung der Anthroposophischen Medizin (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V) nach den vertraglich vereinbarten Gebührensätzen.

Während das FA und ihm folgend das FG von einer gewerblichen Tätigkeit ausgingen, entschied der BFH, dass die Tätigkeit der Steuerpflichtigen als Heileurythmistin dem in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aufgeführten Katalogberuf des Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlich ist. Denn der Abschluss der Verträge zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V (IV‑Verträge) zwischen dem Berufsverband der Heileurythmisten und den gesetzlichen Krankenkassen stellt ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Katalogberuf des Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlichen Tätigkeit dar.

Der BFH sieht es als ausreichendes Indiz für die Annahme eines ähnlichen Berufs an, wenn der Steuerpflichtige bzw. seine Berufsgruppe regelmäßig nach § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenkassen zugelassen ist.

Zwar ist die Ausbildung zum Heileurythmisten staatlich nicht geregelt. Dem Ziel, eine fachgerechte Berufsausübung zu gewährleisten, dienen jedoch auch die Regelungen der §§ 140a ff. SGB V (IV‑Verträge), die bestimmte Anforderungen an die Qualifikation des Erbringers der Heilleistung stellen: Erforderlich für das Therapieverfahren ist eine ärztliche Anordnung. Die Erstverordnung des Vertragsarztes bedarf der Genehmigung durch die Krankenkasse, wenn nicht die Krankenkasse hierauf schriftlich gegenüber dem Leistungserbringer verzichtet. Die Leistungserbringung setzt eine Zulassung des Leistungserbringers durch den jeweiligen Berufsverband voraus. Der Versorgungsvertrag stellt zudem weitere Qualitätsanforderungen an die Person des Leistungserbringers. Die Durchführung der Behandlung darf nur von einem hierfür entsprechend den Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 124 Abs. 4 SGB V qualifizierten Therapeuten und in nach § 124 Abs. 2 SGB V zugelassenen Praxen erfolgen. Die Ausbildung und Eignung muss durch den Berufsverband überprüft und anerkannt werden. Die Leistungserbringung setzt weiter eine vom Berufsverband erteilte Teilnahmeberechtigung voraus, die nur erteilt wird, wenn der Leistungserbringer die im Versorgungsvertrag genannten Voraussetzungen nachgewiesen und die Regelungen des Vertrags anerkannt hat.

Vor diesem Hintergrund stellt die Zulassung der Steuerpflichtigen durch ihren Berufsverband zur Erbringung von Leistungen der Anthroposophischen Medizin auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V (IV‑Verträge) ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Katalogberuf ähnlichen Tätigkeit dar. Eine weitergehende Prüfung der Vergleichbarkeit der Tätigkeit und Ausbildung der Steuerpflichtigen mit der eines Krankengymnasten/Physiotherapeuten ist aufgrund der indiziellen Wirkung der Teilnahmeberechtigung an den IV‑Verträgen daher nicht erforderlich.

BFH, Urteil vom 20.11.2018, VIII R 26/15, veröffentlicht am 11.4.2019.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.04.2019
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt